Der sogenannte Islamische Staat sei die reichste Terrorgruppe der Welt, heißt es. Doch auch für die Gotteskrieger gelten die weltlichen Marktgesetze in den von ihnen kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak.
Der Job ist nicht für jeden. Im November 2014 macht sich die Kunde breit, dass in Syrien und im Irak dringend Spezialisten gesucht werden. Es seien Stellen für Ingenieure auf Erdölfeldern, Raffinerien und Pipelines ausgeschrieben. Dass der Arbeitsplatz in abgelegene Gegenden führt, ist in der Rohstoffbranche nicht ungewöhnlich. Das angebotene Gehalt ist mit bis zu 225 000 Dollar im Jahr auch nicht schlecht. Allerdings ist der Arbeitgeber kein gewöhnlicher: Es ist die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Über Mittelsmänner sucht sie immer wieder Fachpersonal für die von ihr erbeuteten Erdölfelder.
Die Erdölproduktion stellt die Terrormiliz vor große technische Probleme. Der IS ist im Jahr 2012 ins Rohstoffgeschäft eingestiegen. Zunächst wurden Erdölfelder in Syrien und später im Irak erobert. Dort arbeiten meist Zivilisten, die dort schon vorher tätig waren. Doch viele von ihnen versuchen zu fliehen. Und wenn langjährige Mitarbeiter eine Firma verlassen, geht auch Wissen verloren. Für den IS ist das ein Problem: Denn Erdöl fließt nicht einfach aus dem Boden wie Wasser aus einer Quelle. Erdölfelder müssen gewartet werden. Dafür braucht es Investitionen und Experten.
Mitte 2014 produzierte der IS in Syrien rund 50 000 Barrel pro Tag, so schätzte das verfeindete Regime in Damaskus von Baschar al-Assad. Das größte vom IS kontrollierte Erdölfeld in Syrien ist al-Omar im Osten des Landes. Die maximale Produktion dort lag in den Neunzigerjahren bei 60 000 Barrel pro Tag. Doch seither gingen die Reserven stark zurück. Um in al-Omar täglich 10 000 Barrel zu fördern, sei es nötig, gigantische Mengen an Wasser unter die Erdoberfläche zu pumpen, ohne den Untergrund zu beschädigen, sagen Leute, die dort früher gearbeitet haben. Ähnlich sieht es auch auf anderen Erdölfeldern in Syrien aus.
„Die Felder produzieren weit unter ihrer Kapazität“, sagt Luay Al-Khatteeb, Chef des Iraq Energy Institute in Bagdad. „Man muss die Bohrlöcher zählen, an denen gearbeitet wird, es sind wenige.“ Dadurch schwinden auch die Einnahmen der Herrscher.
Acht Millionen Menschen leben im vom IS kontrollierten Gebiet in Syrien und im Irak, es hat etwa die Fläche von Österreich. „Sie müssen sich anpassen, fliehen oder mit dem Tod rechnen“, beschreibt Ben Emmerson, Berichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte, die Lage der Bewohner dort.
Neben Erdöl werden in dem Kalifat Agrargüter und Mineralien, vor allem Phosphate produziert. Außerdem gibt es Zementminen. Um Städte wie Aleppo, Raqqah, Deir ez-Zor oder Mossul zu versorgen, braucht der IS viel Geld: Schulen, Krankenhäuser, Müllabfuhr, Infrastruktur. Hinzu kommt der Sold für die Kämpfer, der Unterhalt für deren Familien. Dann die Ausgaben für Fahrzeuge, Waffen, Munition. „Das Kalifat ist von Importen abhängig“, sagt Valérie Marcel, Erdölexpertin von Chatham House, einem britischen Thinktank. Und die Importe müssen allesamt nicht mit irakischen Dinar oder syrischen Pfund bezahlt werden – sondern in US-Dollar. Die Folge davon ist: Der IS hängt vom Erdölexport ab. Der Rohstoff ist die wichtigste Devisenquelle der Miliz. Im September 2014 schätzte die US-Regierung, dass die Islamisten rund zwei Millionen Dollar pro Tag durch den Verkauf und Export von Erdöl einnahmen.
Der Handel ist äußerst schwierig. Kein seriöses Unternehmen kann es sich leisten, von den Dschihadisten etwas zu kaufen. Trotzdem findet das Erdöl Abnehmer im Ausland. Seit mehr als 30 Jahren existieren in der Region Schmuggelrouten für Waren aller Art. Andrea Galli von der Züricher Sicherheitsfirma Swiss East Affairs hat sich für Kunden auf die Spur gemacht. Er wollte wissen: Wer kauft die Ware der Terroristen?
Die Spur beginnt seinen Erkenntnissen zufolge an den Erdölfeldern, wo Lastwagen in langen Schlangen auf Ladung warten. Die Sattelzüge gehören meist Mittelsmännern, die dem IS das Erdöl etwa zu einem Viertel des Marktwerts abkaufen. Dann geht es weiter. Täglich passieren laut Galli unzählige Tankwagen die Grenze zwischen Syrien und der Türkei. Mancherorts gebe es auch selbst gebaute Pipelines, maximal fünf Kilometer lang, die über die Grenze führten.
Ziel der Fahrten ist Ceyhan, ein Erdölhafen an der türkischen Mittelmeerküste. Eine Pipeline aus Baku in Aserbaidschan endet dort, Erdöl aus den kurdischen Gebieten im Nordirak wird von dort aus verschifft. In die Tanklager wird auch das Erdöl des IS gefüllt. Türkische Händler kaufen und mischen es. Dann werden laut Galli die Papiere gefälscht – und schon kann die Ware weiterverkauft werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ölmultis auch Produkte der Terroristen kaufen, ist groß. „Die Menge ist gering, verglichen mit dem weltweiten Erdölmarkt“, sagt Galli. „Aber als Einnahmequelle ist sie für den IS von großer Bedeutung.“
Daher war der Verlust des Himrin- und Ajil-Ölfelds im Irak im April 2015 ein harter Schlag für den IS. Irakische Truppen und kurdische Peschmerga hatten die Islamisten dort vertrieben. Ein weiterer Feind der selbst ernannten Gotteskrieger ist die Marktwirtschaft. Als die USA im vergangenen Jahr die Erdöleinnahmen des IS auf zwei Millionen Dollar pro Tag schätzten, lag der Preis für die Nordseesorte Brent bei 110 Dollar je Fass. Damals verkaufte der IS das Barrel für rund 25 Dollar, sagt Luay Al-Khatteeb.
Mittlerweile ist Brent auf 45 Dollar je Fass gefallen. Entsprechend weniger verdient der IS inzwischen. Nach Informationen von Shwan Zulal von der kurdischen Consultingfirma Carduchi waren es Anfang Dezember höchstens 15 Dollar pro Barrel. Doch auch das hat sich geändert: Seit die Luftschläge der USA, Frankreichs und Großbritanniens immer stärker die Erdölinstallationen und Tanklaster treffen, ist der Rohstoff knapp geworden. Zumindest auf dem internen Markt verdient der IS dadurch wieder mehr, zwischen 40 und 45 Dollar je Barrel – aber er verkauft auch deutlich weniger.
Schon vor den Luftschlägen war die Produktion für die Machthaber eine Herausforderung. Es beginnt bei der Schwierigkeit, geeignetes Personal zu finden. Wie viele Ingenieure der Stellenausschreibung folgten, ist nicht bekannt. Neben Fachpersonal braucht der IS Ersatzteile. Doch die sind schwer zu beschaffen. Gegen Syrien besteht ein Embargo, ebenso gegen das Nachbarland Iran. Eine normale Wasserpumpe oder ein Ventil kann nicht einfach so gekauft werden. „Der IS kann nicht zu Halliburton gehen und sagen, ich brauche das“, sagt Shwan Zulal. „Er würde nichts kriegen.“ Keine Frage, auch hier gibt es einen florierenden Schwarzmarkt. Doch der treibt wieder den Preis.
Zudem wird der Handel mit Öl riskanter. Früher war die Rechnung einfach: Wer auf eine Million Barrel nur einen Nachlass von fünf Dollar je Barrel erhält, hat, ohne etwas zu tun, fünf Millionen Dollar zusätzlich verdient. Doch das lohnt sich immer weniger.
Nur wenige Tage nach den Attentaten in Paris im November bombardierten die USA zum ersten Mal Tanklaster, mit denen möglicherweise IS-Erdöl transportiert wurde. Zuvor wurden die Sattelzüge und Erdölfelder nicht angegriffen, da Zivilisten dadurch getroffen werden könnten. Diese Zurückhaltung scheint inzwischen passé zu sein. Tote Mitarbeiter, zerstörte Fahrzeuge, die Ware verloren – es ist gefährlich und teuer geworden, mit den Islamisten Geschäfte zu machen. Bereits im November 2014 sagte der für Terrorismus zuständige Staatssekretär im US-Finanzministerium David Cohen: „Die Mittelsmänner, Händler, Transportfirmen und alle anderen, die mit IS-Öl handeln, sollten wissen, dass wir hart daran arbeiten, sie zu identifizieren, und dass wir die Möglichkeit haben, sie zu stoppen.“
Inzwischen glauben die USA und die EU einige Mittelsmänner gefunden zu haben. In einem zynisch anmutenden Geschäft verkaufte der IS auch Erdöl an den Diktator Assad, den er bekämpft. Die EU und die USA haben den Bauunternehmer George Haswani aus Damaskus im Verdacht, an dem Deal beteiligt zu sein. Sie haben ihn und sein Unternehmen Hesco auf die Sanktionsliste gesetzt. Das hat Folgen: Mögliche Vermögenswerte in den USA und der EU werden eingefroren, Haswani kann das Land praktisch nicht verlassen, keine EU- oder US-Firma darf an Hesco Aufträge vergeben. Sein Bruder Michael Haswani bezeichnet die Vorwürfe am Telefon als „Unfug“. Er gibt aber zu, dass die Firma als Subunternehmer an einer Gasanlage baut – im Gebiet des IS. „Sie ist aber noch nicht fertig“, so Haswani.
Durch solche Nadelstiche wird das Exportgeschäft für die Dschihadisten schwieriger. Doch noch dürften sie genug Reserven haben. Als die Miliz im Juni 2014 Mossul eroberte, die zweitgrößte irakische Stadt, erbeutete sie auch die Reserven in den Filialen der irakischen Zentralbank. Der Gouverneur der Provinz Ninawa, deren Hauptstadt Mossul ist, berichtete später, dass der IS 425 Millionen Dollar in bar allein im Juni 2014 nur aus der Zentralbank gestohlen habe. Nach den Jahresberichten der Banken, die in der Provinz zu jener Zeit tätig waren, habe deren Barvermögen zum 31. Dezember 2013 eine Milliarde Dollar betragen – genug Geld, um eine Zeitlang durchzuhalten.
Aber wenn die Erdölgewinne zurückgehen, braucht der IS mehr und mehr Einnahmen aus dem von ihm kontrollierten Gebiet. In Mossul etwa verlangten die Besatzer Steuern, sie erpressten auch diejenigen, die sich nicht an die strengen Regeln im Kalifat hielten, berichten Leute, die geflohen sind. Dann heißt es: Strafe oder Geld. Wie hoch die Einnahmen aus Entführungen sind, ist kaum seriös festzustellen.
Sicher ist, dass es bei der Verwaltung Probleme gibt. Mossul ist eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern. Immer wieder gibt es Berichte über Stromausfälle, Wasser- und Benzinmangel. Es scheint auch schwierig zu werden, die Steuern in den kontrollierten Gebieten zu erhöhen. In Syrien hat sich das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu vor dem Krieg halbiert. Wirtschaft und Einkommen schrumpfen – irgendwann bleibt nichts mehr übrig, was man den Menschen noch abpressen könnte.
Howard J. Shatz von der sicherheitspolitischen Denkfabrik Rand Corporation rechnet vor, dass zumindest in den irakischen Gebieten, die heute von der Terrormiliz kontrolliert werden, die zivile Regierung davor deutlich mehr Geld für die Verwaltung ausgegeben hat, als die Terrororganisation es heute tut. „Das bedeutet, der IS bietet nicht den gleichen Lebensstandard wie einst die irakische Regierung, etwa bei Krankenhäusern oder Schulen. Doch solche Dinge dürften eh nicht weit oben auf ihrer Liste stehen“, sagt Shatz. Der IS brauche für sein Regime nicht die Zustimmung der Menschen, die dort leben. Allerdings brauche er regelmäßige Einnahmen und wirtschaftliche Aktivität.
Weil es damit momentan nicht gut aussieht, wagt Luay Al-Khatteeb zu sagen: „Der IS ist reich, ohne Zweifel. Aber er kann sich kaum selbst erhalten.“ Die Miliz sei auf Spender angewiesen. Die würden weniger, sagt Shatz. „Wir wissen, dass der IS verwundet wurde.“ Doch er warnt vor zu viel Optimismus: „Er ist noch nicht geschlagen.“ ---