Das Untermarchtaler Kalkwerk wird 100 Jahre alt

2022-09-02 21:39:55 By : Mr. Daniel Tian

Das technische Museum Kalkofen Untermarchtal kann in diesem Jahr sein 100-jähriges Baujubiläum feiern. Aus diesem Grund lädt die Ortsgruppe Untermarchtal des Schwäbischen Heimatbunds (SHB) zum Tag der offenen Tür am Sonntag, 11. September, von 13 bis 17 Uhr die Bevölkerung ein. Vor Ort wird an diesem Tag das Kalkbrennen, Trocken- und Nasslöschen des gebrannten Kalkes mit Wiederholungen vorgeführt. Im Beiprogramm wird die einheimische Künstlerin Simone Schulz eine Autorenlesung über ihr neues Buch „Bildschnitzers Lieb und Leidenschaft“ geben. Natürlich werden die Gäste vor Ort auch bestens versorgt. Besuch aus Stuttgart erwartet die Ortsgruppe Untermarchtal vom Hauptverein des Schwäbischen Heimatbund mit dem Vorsitzenden Josef Kreuzberger.

Das seinerzeitige errichtete Kalkwerk, wie es auch heute noch von den Bürgern des Dorfes Untermarchtal so genannt wird, ist mit seinem Erscheinungsbild des 15 Meter Ziegelsteinkamins an der B311 ein unübersehbares Zeichen in der Landschaft. Seine drei Begründer und Erbauer vor 100 Jahren waren Untermarchtals Bürgermeister Albert Großmann, der Bauunternehmer Leopold Ege aus Munderkingen sowie der Dieterskircher Landwirt und Holzhändler Josef Bailer. Sie bildeten eine Unternehmergemeinschaft, die durch den Untermarchtaler Gemeinderatsbeschluss im Januar 1922 bezüglich des Kaufs des gemeindeeigenen Grundstücks mit einem Preis von 3710 Mark besiegelt wurde.

Bevor die Ortslage des Kalkwerk bestimmt wurde, waren die Unternehmer mit dem vor Ort liegenden Kalksteinvorkommen in beiden Steinbrüchen für Weißkalk und einen für Schwarzkalk mit deren Qualität durch Steinproben als Voraussetzung zur Kalkherstellung überzeugt und sich einig, dort das Kalkwerk im Gebiet „Bannbühl“ zu erstellen. An der Hangkante des Steinbruchs wurde eine 24 Meter lange Werkhalle erbaut. Diese ist auch heute noch in ihren Maßen vorhanden und dient jetzt zu Ausstellungen und Besichtigungen als „Kalkofen Museum“ der vor 100 Jahren benutzten Geräte, Werkzeuge, Maschinen mit der Ofenöffnung zum Entnehmen des gebrannten Kalks. Dies ist das Kernstück der Anlage zusammen mit dem Schachtofen, der gleichzeitig die Basis für den Schornsteinkamin aus Ziegel und die angebaute Gichtbühne bildet. Außerdem befindet sich in der Werkhalle der Wasserbehälter für das Trockenlöschen des Kalks, die Förderschnecke, Becherwerk, das Trommelsieb, die Transmission mit Riemenscheiben und der Abfüllbehälter für die Sackware. Im hausnahen Bereich ist noch die Wasserzisterne und der 5-PS-Benzinmotor „Anton Schlüter, München“ aus dem Jahre 1927 zu erwähnen, welcher über die Transmission den Antrieb für das Becherwerk und Förderschnecke seinen Antrieb leistete.

1923 kam die Inflation im Deutschen Reich. Für die beiden Gesellschafter Ege und Bailer bedeutete dies bei konsequenter Unternehmensbeteiligung schon den sich abzeichnenden Ausstieg, falls die Gewinne ausblieben. Bürgermeister Großmann dagegen zog grundsätzlich wirtschafts- und sozialpolitische Erwägungen heran. Er sprach sich für die Modernisierung und Ausbau des Werkes aus und versprach, bei unrentabler Produktion die alleinige Verantwortung zu übernehmen. In wirtschaftlicher Not konnte er wenigstens die Arbeitsplätze erhalten. Je nach Arbeitszeit und Gehalt schwankte der Wochenlohn von 25 bis 50 Mark. In der Regel wurde im Steinbruch und Kalkwerk von März bis Oktober gearbeitet, da auch am Wochenende wegen des Dauerbrand des Ofens die Arbeit nicht ruhte. In der Werkhalle gab es für die Arbeiter einen Aufenthaltsraum, weil die Arbeit kräftezehrend, nicht immer unfallfrei ablief und der Raum diente auch für die Hygiene. Die Beschickung und Anfahren des Ofens waren Knochenarbeit.

Schon im Januar 1925 schied der Teilhaber Leopold Ege aus Munderkingen als Gesellschafter aus. Er wurde mit 900 Goldmark entschädigt. Zu diesem Zeitpunkt warf das Kalkwerk eine geringe Rentabilität ab. Dies erkannte der Unternehmer Ege und auch Teilhaber Bailer schied dann etwas später im Zusammenhang der Zwangsversteigerung im Juni 1930 aus. Die Ertragslage war aufgrund der anhaltenden Weltwirtschaftskrise sehr angespannt. Bei der Zwangsversteigerung und Aufhebung der Gesellschaftergemeinschaft ersteigerte sich Bürgermeister Großmann das Werk mit Zubehör für 6501 Mark und wurde dadurch alleiniger Besitzer. Doch nur wenige Monate erfreute sich Großmann seines Besitzes. Er verstarb am 16. September 1930. Die neue Besitzerin war nunmehr seine Witwe Franziska, doch sie sah sich schon bald außerstande, das Kalkwerk allein weiterzuführen, zumal auch Vorarbeiter Anton Speidel aus dem Arbeitsverhältnis ausschied.

Mit einigen Arbeitern ging es dann bis zur wieder anstehenden Versteigerung im Januar 1931 weiter. Der einzige Bieter war Landwirt Matthäus Fischer aus Untermarchtal. Er konnte mit dem Gebot von 2800 Mark das Werk samt Zubehör ersteigern. Fischer führte die Produktion mit nur zwei Arbeitern weiter und der Ofen wurde nicht mehr die ganze Saison in Betrieb gehalten. Das wirkte sich auf die Qualität, die Auslieferung und den Ertrag für das Produkt aus. Im Jahr 1934 verpachtete Fischer das Kalkwerk an den Baustoffhändler Karl Halder aus Dürmentingen. Unter ihm ging aber der Niedergang des Werkes weiter, weil auch dieser eine reduzierte Produktion hinlegte und dadurch der schlecht durchgebrannte Kalkstein nur noch zum Düngekalk taugte. Wegen des defekten Benzinmotors erfolgte der Antrieb mit Hilfe eines Lanz-Bulldogs, der aber auch zum Betrieb einer Dreschmaschine von Halder genutzt wurde. Die bisher genutzte Steinquetsche und Kugelmühle verkaufte Halder im Zuge seines Ausstiegs vom Pachtvertrag. Nach wenigen Jahren nahm dann Besitzer Fischer für einige Zeit mit eingeschränktem Umfang zusammen mit seiner Familie und Verwandten den Betrieb wieder auf. Aber 1939 wurde das Kalkwerk gänzlich stillgelegt, auch wegen des Kriegsbeginns und fehlendem Rohstoffs wie beispielsweise Koks zur Befeuerung. Offensichtlich hatte das Kalkwerk keine nennenswerte Bedeutung mehr.

Noch am Ende des 2. Weltkriegs pachtete Johann Josef Zeithammer aus Untermarchtal das Werk. Er produzierte aus Tuffstein und formte einen Kalkbaustein für Bauzwecke, der sich aber als Produkt von geringer Qualität herausstellte. Zeithammer verließ die heutige, noch als als Ruine stehende kleine Maueranlage neben dem Kalkwerk und siedelte in die damalige DDR um. Matthäus Fischer nutzte die Werkshalle nach dem Weltkrieg als Remise für landwirtschaftliche Geräte, er verstarb 1956. Sein Sohn Anton Fischer als Erbe starb schon 1967 und dessen Witwe Paula war jetzt Besitzerin der Anlage am „Bannbühl“. Paula Fischer heiratete den Untermarchtaler Landwirt Karl Ziegler. Sie verkaufte das mittlerweile ziemlich verfallene Kalkwerk für 25 000 DM an das Land Baden-Württemberg. Das Land überließ dann 1986 die Anlage dem Schwäbischen Heimatbund in Erbpacht mit der ausdrücklichen denkmalpflegerischen Zweckbestimmung, den denkmalgeschützten Kalkofen sobald wie möglich einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies war dann der „Weckruf“ für den Schwäbischen Heimatbund in Stuttgart. Es ergab sich dann im Umfeld von Untermarchtal die Gründung einer Ortsgruppe des Schwäbischen Heimatbunds unter Anleitung und Führung von Wolfgang Rieger – eine Interessengemeinschaft für die Wiederherstellung des Kalkwerkgebäudes und die Beschaffung der Kalkproduktionsgeräte für das Werk.

Die gesamte Betriebseinrichtung zum Museum wurde mit Hilfe der Betriebsschlosserei der Ulmer Weißkalkwerke und der großartigen Mitarbeit der Ortsgruppe Untermarchtal des Schwäbischen Heimatbunds mit großem Eifer der Beteiligten rekonstruiert. Von der ursprünglichen Produktionsanlage waren nur noch geringe Reste übrig. Ein Benzinmotor passend mit 5 PS, Marke „Schlüter“ wurde in Norddeutschland ausfindig gemacht und von Mitgliedern der Untermarchtaler Schopfboale-Narrenzunft ins Kalkwerk überführt. Dort wurde der Motor von SHB-Ortsgruppenmitglied Georg Bierer restauriert und in die Anlage eingebaut. Weitere wertvolle Einrichtungen wie zum Beispiel die Förderschnecke, das Becherwerk, die Siebtrommel, die Transmission und die Wasserpumpe wurden nach intensiver Suche auf Schrottplätzen, Brauereien et cetera und bei kleinen noch bestehenden Kalkwerken gefunden und mit echter Begeisterung von Mitgliedern der mittlerweile gegründeten Ortsgruppe Untermarchtal eingerichtet. Zum Vorsitzenden der Ortsgruppe wurde Wolfgang Rieger gewählt. Joachim Heribert Fischer folgte ihm als Vereinsvorsitzender bis 2005. Dann übernahm Wolfgang Kurz das Vereinsamt des Vorsitzenden der Ortsgruppe Untermarchtal bis zum jetzigen 100-jährigen Jubiläumsjahr der Ortsgruppe.