Paradise Papers - Die Schattenwelt des großen Geldes
Ein machtbesessener Präsident, ein einflussreicher Ex-Minister, ein gewiefter Geschäftsmann und ein verschwiegener Schweizer Konzern: Warum der Kongo bettelarm ist, obwohl dort Bodenschätze für die ganze Welt liegen – ein Wirtschaftskrimi aus dem Herzen Afrikas.
A m meisten fürchtet er die Hunde. Wenn er in der Dunkelheit ihr Hecheln und Bellen hört, die schweren Schritte der Wachleute, rennt Michel los. In der einen Hand Hammer und Meißel, in der anderen, fest umklammert, seine Beute, einen Sack mit Steinbrocken. Aber die Steine sind es wert, dafür gejagt zu werden.
Der Mann, der nur Michel genannt werden will, 41 Jahre, hohe Wangenknochen, die Augen rot von der staubigen Luft, sitzt in seinem Wohnzimmer in Kapata, einer alten Minenarbeiter-Siedlung im Süden der Demokratischen Republik Kongo. Neben den zerfurchten Sandpisten, die einmal Straßen waren, türmt sich der Müll, von den Hauswänden blättert der Putz. Michels schwielige Finger greifen einen Steinbrocken aus einer Plastiktüte, er reibt den Dreck weg, unter der Sandschicht schimmert es grün. „Shaba“, sagt er in seiner Sprache Swahili, das Wort für Kupfer. Die grüne Farbe verrät, dass der Stein davon geradezu strotzt.
Dann zieht er einen zweiten Brocken aus der Plastiktüte, grauschwarz schimmernd: Heterogenit, reich an Kobalt, einem viel selteneren Metall. "Heiß begehrt und teuer auf dem Weltmarkt", sagt Michel.
Um nach diesen Stoffen zu graben, dringt Michel verbotenerweise immer wieder auf das Minengelände in seiner Nachbarschaft vor. Es gehört mehrheitlich einem der weltweit größten Akteure auf dem Rohstoffmarkt, dem Schweizer Konzern Glencore. „Was sollen wir sonst tun?“, fragt Michel. "Wir haben keine andere Wahl, wenn wir überleben wollen."
Michels Heimat, die Demokratische Republik Kongo, ist mehr als sechs Mal so groß wie Deutschland, sie ist das Herz Afrikas. In ihren Böden stecken wertvolle Metalle, die unverzichtbar sind für Laptops und Handys. Aber auch für die Energiewende auf den Straßen dieser Welt, die Ablösung von Benzin und Diesel durch Elektroautos. Für deren Antriebe und Ladestationen braucht man Kobalt und Kupfer. Der Kongo hat diese Rohstoffe in gigantischen Mengen. Analysten nennen das Land schon das künftige Saudi-Arabien der Elektromobilität.
Die Metalle lagern hier hoch konzentriert direkt unter der Erdoberfläche.
Tag für Tag treiben Menschen wie Michel mit Hammer und Pickel Stollen in die Erde, steigen mit einer Stirnlampe in die Tiefe, hieven das kostbare Gestein in Säcken an die Oberfläche, zwölf Stunden am Stück oder mehr, oft bis in die Nacht. Michel riskiert sein Leben für die Erze, und trotzdem reicht das, was ihm die Zwischenhändler zahlen, oft nicht einmal, um die Schulgebühren für seine Kinder zu zahlen.
Der Kongo könnte eines der reichsten Länder der Welt sein, aber er ist eines der ärmsten. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, jedes siebte Kind erlebt seinen fünften Geburtstag nicht. Michel ist einer von mehr als hundertausend, die im rohstoffreichen Süden des Kongo mit archaischen Werkzeugen nach den kostbaren Erzen graben, um nicht zu verhungern.
Der Kongo könnte eines der reichsten Länder der Welt sein, aber er ist eines der ärmsten. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, jedes siebte Kind erlebt seinen fünften Geburtstag nicht. Michel ist einer von mehr als hundertausend, die im rohstoffreichen Süden des Kongo mit archaischen Werkzeugen nach den kostbaren Erzen graben, um nicht zu verhungern.
Und es kommen immer mehr, während die Areale, auf denen die Behörden ihnen den Abbau erlauben, immer kleiner geworden sind. "Es ist viel zu eng für uns alle", sagt Michel, "deshalb sind wir gezwungen, auch auf dem Gelände von Glencore zu graben."
Die Mine, in die Michel immer wieder illegal eindringt, gehörte früher einmal, wie alle kongolesischen Kupferminen, dem staatlichen Bergbauunternehmen Gécamines, Michels Vater arbeitete dort als Chemiker. Er selbst begann ein Medizinstudium. Doch dann richtete ein plündernder Diktator das Bergbauunternehmen zugrunde, ein Krieg brach aus, und die neue Regierung verteilte die Schürfrechte neu. Besser gesagt: Sie verschleuderte den Reichtum des Landes. Sie schanzte ausländischen Investoren zu Dumpingpreisen die Minen zu, die Filetstücke. Dem Volk dagegen, Leuten wie Michel, warf sie die Knochen zum Abnagen hin.
Um zu begreifen, wie Minen-Deals im Kongo ablaufen, muss man ein paar Jahre zurückgehen: Juni 2008, Flughafen Zürich, ein heißer Montagmittag.
Im Hotel Hilton Airport versammeln sich zehn Männer, um über die Zukunft reicher Kupfervorkommen zu diskutieren, die heute als Katanga-Mine bekannt sind; um jenes Gebiet also, auf dem Michel Jahre später nachts illegal graben wird, bis ihn die Hunde jagen. Die Männer sind die Aufsichträte der Betreiberin dieser Minen, einer Gesellschaft namens Katanga Mining. Der Schweizer Konzern Glencore hat damals schon mehr als 150 Millionen Dollar in diese Gesellschaft investiert.
Doch jetzt gibt es auf einmal große Probleme: Weil die Schürfrechte früher häufig unter Wert vergeben worden waren, hat der kongolesische Staat beschlossen, einen Großteil seiner Bergbauverträge neu zu verhandeln. Es sind komplizierte Gespräche, die jetzt ins Stocken geraten sind. Die versammelten Aufsichtsräte von Katanga Mining sind sich einig: Die Forderungen des Kongo seien „unannehmbar“.
Die Protokolle der Sitzungen jener Zeit und interne Vertragsunterlagen sind Teil der Paradise Papers, jener Daten, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt wurden. Durch die Auswertung dieser Informationen, durch öffentlich zugängliche Berichte, durch Gespräche mit Experten und eine Recherche-Reise in den Kongo ist die Rekonstruktion eines Wirtschaftskrimis entstanden.
Die Hauptrollen spielen: ein skrupelloser Präsident,
Dan Gertler, ein Glücksritter aus Israel,
Dan Gertler, ein Glücksritter aus Israel,
und Glencore, der medienscheue Schweizer Rohstoffgigant.
Auf den Zuschauerplätzen hocken Menschen wie Michel, die nachts verbotenerweise mit den Händen in der Erde ihrer Heimat graben.
Alles beginnt an jenem Sommertag in Zürich. Die Aufsichtsräte der Minengesellschaft, die im Kongo einfach nicht weiterkommen, bitten einen Mann um Hilfe, dem ein Ruf als geschickter Stratege im Rohstoffgeschäft vorauseilt. Er ist bekannt für seine enge Verbindung zum kongolesischen Präsidenten - Dan Gertler. Der israelische Geschäftsmann, Spross einer Diamantenhändlerfamilie, hat rechtzeitig erkannt, dass Kupfer und Kobalt mindestens ebenso viel Reichtum versprechen wie Diamanten. Wenn einer die Verhandlungen zu Gunsten der Minenbetreiber drehen kann, dann er.
Am Ende dieses zähen Ringens wird das Land auf mehrere Hundert Millionen Dollar verzichten, die es zwischenzeitlich gefordert hatte. Die damaligen Abläufe bringen Glencore heute in Erklärungsnot. Denn die Rekonstruktion der Ereignisse mithilfe der Paradise Papers weckt den Verdacht, dass im Zuge jener Verhandlungen einer oder mehrere kongolesische Politiker oder Beamte bestochen wurden.
Der Ausverkauf der kongolesischen Bodenschätze beginnt schon im Mai 1997. Laurent-Désiré Kabila, ein seit Jahrzehnten notorisch erfolgloser Milizenführer, marschiert mit einer Rebellenarmee, einschließlich Tausender Kindersoldaten, auf die kongolesische Hauptstadt Kinshasa zu. Unterstützt wird er von den Regierungen zweier Nachbarländer, Ruanda und Uganda; deren Auftrag lautet: Kabila soll den Diktator Joseph Mobutu entmachten, den Inbegriff des afrikanischen Kleptokraten. Seinen Anhängern verspricht Kabila, endlich einen alten kongolesischen Traum zu erfüllen: Der Reichtum ihrer Erde - Kupfer, Kobalt und Uran - soll endlich dem Volk zugutekommen.
Kabilas ausländische Unterstützer verhelfen ihm zum ersehnten Durchbruch. Am 29. Mai 1997 legt er in einem Fußballstadion den Amtseid als Präsident ab. „Meine langen Jahre des Kampfes waren wie das Ausbringen von Dünger auf einem Feld“, verkündet er. „Jetzt ist die Zeit der Ernte gekommen.“
Im Nachhinein lässt sich das als unverblümte Warnung verstehen.
Während Kabilas Präsidentschaft entdeckt der junge Dan Gertler den Kongo und geht nach Kinshasa. Zuvor hat er im benachbarten Bürgerkriegsland Angola mit Diamanten gehandelt, jetzt ist er auf der Suche nach neuen Geschäften. Kinshasa, früher mal „Kin La Belle“ genannt, Kin, die Schöne, ist unter dem Diktator Mobutu zu „Kin La Poubelle“ verkommen – Kin, die Mülltonne. Der Krieg hat ihr den Rest gegeben. Aus offenen Abwassergräben stinkt es faulig, in Brand gesteckte Müllhaufen schwelen an den Straßenrändern, Heerscharen von Hungrigen ziehen durch die Straßen.
Doch Gertler lässt sich nicht beirren. Ein Rabbiner macht ihn mit dem Chef der kongolesischen Armee bekannt: Joseph Kabila, Sohn des Präsidenten. Die beiden jungen Männer freunden sich an, und bald lernt Gertler auch den Vater Laurent Kabila selbst kennen, den Präsidenten.
Der steht gerade unter extremem Druck: Mit seinen bisherigen Schutzmächten Ruanda und Uganda hat er sich nach kürzester Zeit überworfen. Sie, die seinen Sieg über Mobutu überhaupt erst möglich gemacht haben, wollen ihn jetzt loswerden und hetzen eine neue Rebellenarmee auf ihn. Doch Kabila denkt nicht daran, klein beizugeben, er weiß andere Verbündete hinter sich, afrikanische Mächte wie Angola und Simbabwe. Der Krieg um Kabilas Machterhalt wird als „Afrikas Weltkrieg“ in die Geschichte eingehen. Schätzungen zufolge sterben darin mehr als drei Millionen Menschen. Und der Krieg zerstört auch die Reste der ohnehin schon am Boden liegenden Kupferindustrie. Die einst prächtigen Staatsminen produzieren fast nichts mehr. Der Kongo, das geschundene Herz Afrikas, ist gebrochen.
Um seine Truppen in diesem Krieg zu finanzieren, braucht Kabila Geld, viel Geld. Seine damalige Hauptquelle für Devisen ist die Ausfuhr von Diamanten, der Kongo hat reichlich davon. Blutdiamanten nennt man die Steine, wenn mit ihrem Erlös gewalttätige Konflikte finanziert werden. Händler, die dennoch solche Steine ankaufen, riskieren, vom internationalen Diamantenhandel ausgeschlossen zu werden. Jedenfalls theoretisch.
Dan Gertler hat das Geld, das Kabila braucht. Und er ist auf der Suche nach Diamanten. Gertlers Philosophie sei es, "dass jeder einen Preis hat und käuflich ist“, wird ihn später eine globale Risiko-Bewertungsfirma in einem vertraulichen Bericht beschreiben. Gertler selbst erklärt auf SZ-Anfrage, er halte sich im Kongo und in allen anderen Ländern, in denen er Geschäfte macht, streng an Recht und Gesetz.
Es ist der Beginn einer perfekten Symbiose. Laurent Kabila, so wird es ein Expertenbericht der Vereinten Nationen später festhalten, verspricht dem jungen Israeli ein Monopol auf alle Diamanten aus der kongolesischen Erde. Im Gegenzug solle Gertler "schnelles und frisches Geld" beschaffen, das für Waffenkäufe benutzt werden könne. Gertler solle seine Kontakte zu israelischen Generälen nutzen und den Zugang zu "israelischer Militärausrüstung" erleichtern. Gertler streitet diese Darstellung auf Anfrage ab und bemerkt, er sei für den UN-Bericht nicht angehört worden. Die UN kommen damals zu dem Ergebnis, dass der Deal für den Kongo ein "Albtraum" gewesen sei. Am Ende habe Gertler nur drei statt vereinbarter 20 Millionen Dollar gezahlt und keine Militärausrüstung geliefert.
So verschleudert Kabila eine Chance für eine bessere Zukunft seines Landes. Für Dan Gertler dagegen ist es der Auftakt zu etwas ganz Großem. „Wenn ich etwas mache, dann mache ich’s“, so wird ihn die Nachrichtenagentur Bloomberg zitieren: „Ich schlafe nicht viel. Ich habe nicht viel Nachtleben oder Zeit mit Freunden. Ich bin einfach sehr, sehr konzentriert auf das, was ich tue.“ Schon bald pendelt er zwischen den Minen im Kongo und seiner Familie in Tel Aviv.
Am 16. Januar 2001 erschießt ein Leibwächter den Präsidenten Laurent Kabila. Sein Sohn Joseph folgt ihm auf den Thron, und dessen Freund Gertler wird zu einer Stütze des Regimes. Kabila junior schickt ihn sogar in Friedensverhandlungen mit den Nachbarländern und mit den USA. Gertler ist im Zentrum der Macht angekommen.
Joseph Kabila, der frühere Armeechef, versteht wenig von Politik, aber er ist ein begnadeter Stratege. Neben Gertler zählt schon bald ein junger Maschinenbau-Ingenieur namens Augustin Katumba Mwanke zu seinen Vertrauten. Katumba stammt, wie Kabila, aus dem kupferreichen Süden. Er hat, wie er später in seinen Memoiren schreiben wird, schon als Jugendlicher davon geträumt, eines Tages eine Art „Gott über das gigantische Bergbau-Imperium des ganzen entkolonisierten Afrika“ zu werden.
Diesem Traum kommt Katumba jetzt ziemlich nah. Kabila macht ihn zwischenzeitlich zum Minister für staatseigene Unternehmen - auch über seine Amtszeit hinaus wird Katumba so zum Herrscher über die Bergbaulizenzen.. Es sind die Anfänge eines „Plünderungssystems“, wie es heute der frühere kongolesische Minister Olivier Kamitatu im Gespräch mit der SZ nennt. Kamitatu ist mittlerweile zur Opposition übergelaufen. Er sagt, das Gespann Kabila, Gertler, Katumba habe damals „in totaler Undurchsichtigkeit, ohne jegliche Transparenz, ohne jegliche Rechenschaftspflicht“ agiert.
Katumba wickelt also die Privatisierung der Minen des staatlichen Bergbauunternehmens Gécamines ab. Das hat auch die internationale Gemeinschaft dringend gefordert, damit Devisen für den Wiederaufbau in das vom Krieg zerstörte Land fließen.
Tatsächlich werden Schürfrechte für fast das gesamte kongolesische Kupfervorkommen an private Investoren verkauft, allerdings zu verheerenden Konditionen. Ein Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen bezeichnet Katumba 2002 als „Schlüsselfigur für Minenlizenzen“ in einem „hochrangigen Netz“ aus Beamten, Geschäftsleuten und Kriminellen, das „im Lauf der vergangenen drei Jahre Guthaben von mindestens fünf Milliarden Dollar vom staatlichen Bergbausektor an private Gesellschaften“ verschoben habe - ohne Ausgleich oder Nutzen für den Etat der Demokratischen Republik Kongo.
Eine Untersuchungskommission des kongolesischen Parlaments äußert sich 2005 besorgt über die Zukunft einiger Kupfergruben, die später einmal ein zentraler Teil der Katanga-Mine werden. Es ist eines der wohl reichsten Kupfervorkommen des Landes. Die Lizenz dafür, so fordern die Parlamentarier damals, müsse dringend öffentlich ausgeschrieben werden, um zu verhindern, dass abermals wertvolle Rohstoffe des Kongo „geplündert“ werden.
Der Appell verhallt. Die entsprechenden Schürfrechte gehen an mehrere Investoren, zu denen auch Dan Gertler zählt. Ein Weltbank-Experte äußert sich später in einem internen Bericht entsetzt über das „komplette Fehlen von Transparenz“. Die Lizenzen seien ohne Ausschreibung und ohne Offenlegung der Bedingungen des Deals vergeben worden - eine Darstellung, der Gertler widerspricht. Nach Einschätzung der Kongo-Spezialistin der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Carter Center, Elisabeth Caesens, gingen sämtliche wichtige Deals zu der Zeit über Katumbas Tisch. Demnach wäre das Geschäft zwischen ihm und Gertler ein Geschäft unter Freunden.
Oder sollte man sagen: unter Brüdern?
"Mein Zwillingsbruder", so wird Katumba in seinen Memoiren den Geschäftsmann Gertler später nennen. Wie nah sich die beiden Vertrauten kommen, zeigt ein Foto, das offenbar in einem israelischen Spital aufgenommen wurde: Katumba im OP-Hemd, Dan Gertler hält seine Hand. Katumba lobt in seiner Autobiografie die "unerschöpfliche Großzügigkeit" Gertlers.
Der habe ihn zum Beispiel samt Ehefrau auf eine gemeinsame Kreuzfahrt auf dem Roten Meer eingeladen. Bei einem Treffen habe sogar der Illusionskünstler Uri Geller eine Privatvorstellung gegeben: eine „surreale Erfahrung“ für einen "kleinen Kongolesen" wie ihn, schwärmt Katumba im Rückblick. Die Bewunderung Katumbas ist Dan Gertler sicher.
Als die Geschäftsbeziehung zwischen Gertler und dem Rohstoffkonzern Glencore Gestalt annimmt, scheinen die Verhältnisse im Kongo so stabil zu sein wie lange nicht mehr: Joseph Kabila hat sich 2006 per Wahl im Amt bestätigen lassen, Beobachter haben die Abstimmung für kongolesische Verhältnisse als relativ frei und fair bezeichnet. Einen anschließenden bewaffneten Aufstand von Oppositionsanhängern hat der Präsident niederschlagen lassen. Ein führender Kongo-Experte, der frühere UN-Ermittler Jason Stearns, geht davon aus, dass Gertler damals Kabilas Wahlkampf mitfinanziert hat: Bei Gesprächen mit Vertretern der Minenindustrie habe ihm "jeder dasselbe gesagt", schreibt Stearns. Sowohl Gertler als auch ein weiterer Geschäftsmann hätten "entscheidend zu Kabilas Wahlkampfkassen beigetragen, auch wenn beide dies bestreiten".
Die SZ hat Gertler schon im vergangenen Juni für ein Gespräch zu Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit dem Kongo angefragt. Dies kam jedoch nicht zustande. In einer schriftlichen Stellungnahme verweist Gertler auf sein Engagement für die Entwicklung des Kongo. Seine Firmen gehörten zu den größten Steuerzahlern und hätten 30.000 Jobs geschaffen. Er sei ein "angesehener Geschäftsmann", der sich an geltendes Recht halte.
Dass man das auch anders sehen könnte, legt ein Gerichtsdokument aus dem Jahr 2016 nahe, das sich auf einen anderen Fall bezieht: Demnach hat zur selben Zeit, als Glencore sich seine Schürfrechte im Kongo sicherte, auch ein "israelischer Geschäftsmann" mit einem US-Hedgefonds namens Och-Ziff Geschäfte gemacht. Im Rahmen einer gerichtlichen Vereinbarung, die getroffen wurde, um eine strafrechtliche Verfolgung zu vermeiden, hat dieser Hedgefonds zugegeben, dass die kongolesische Regierung bestochen wurde, um besonderen Zugriff auf Minen im Kongo zu erhalten.
Zwischen 2005 und 2015 gingen demnach Korruptionszahlungen von mehr als 100 Millionen Dollar an Regierungsbeamte des Kongo. Einer der Mittelsmänner, der die Schmiergeldzahlungen veranlasst hat, war demnach jener "israelische Geschäftsmann". Das Dokument nennt dessen Namen nicht, aber den Namen einer Firma, die er kontrolliert: "Lora Enterprises". Dieser Israeli habe über Jahre hinweg und mit einer Millionensumme einen Politiker bestochen, der in dem Gerichtspapier nur „DRC Official 2“ genannt wird. Allerdings erscheint auch dessen Todesdatum, der 12. Februar 2012.
An jenem Tag starb bei einem Flugzeugabsturz Augustin Katumba Mwanke, als rechte Hand des Präsidenten so etwas wie die Nummer zwei des Kongo - und enger Freund von Dan Gertler. Gertler wiederum, bekanntermaßen israelischer Geschäftsmann, kontrollierte eine Firma namens Lora Enterprises.
Das Gerichtsdokument schildert noch einen weiteren Vorgang, in dem der namentlich nicht genannte Israeli eine Rolle spielt: 2008 habe dieser Mann kongolesische Richter bestochen. In einer SMS habe er angeordnet, Konkurrenten müssten "fertiggemacht und total erledigt werden". Zu einem anderen Zeitpunkt habe der Mann in einer E-Mail geprahlt: "Die Verhältnisse im Kongo werden gerade neu geordnet. Und ich steuere das Ganze - wie kein anderer."
Für Dan Gertler stellt das zitierte Gerichtsdokument keinen Beweis gegen ihn dar. Es handle sich lediglich um eine Verständigung zwischen dem amerikanischen Justizministerium und dem US-Hedgefonds Och-Ziff. Er selbst sei nicht angehört worden und weist sämtliche Vorwürfe zurück. Einige Dokumente, die dem Justizministerium vorgelegt wurden, seien falsch und haltlos. Gertler bestreitet außerdem kategorisch "anstößige, illegale und/oder korrupte Beziehungen" zu Präsident Kabila oder Katumba Mwanke. Die Freundschaft zu Kabila sei rein privat, und Katumba sei er erst nach dessen Amtszeit auf "persönlicher Basis" begegnet.
Die Katanga-Mine gehört heute mehrheitlich Glencore. Wegen seiner Beziehung zu Gertler geriet der Schweizer Rohstoffkonzern schon vor Jahren in die Kritik: Im Mai 2014 kritisierte die Organisation Global Witness in einem umfangreichen Report die finanzielle und geschäftliche Verstrickung Glencores mit dem Präsidentenfreund Gertler bei Kupfergeschäften im Kongo. "Die Korruptionsrisiken sind offensichtlich", schrieb die globalisierungskritische Organisation. Glencore und Gertler verteidigten die Deals damals als völlig sauber. Im Jahr zuvor hatte Konzernchef Ivan Glasenberg jegliche Korruptionsvorwürfe pauschal als "leere Behauptungen" abgetan. Der Schweizer SonntagsZeitung sagte er: "Niemand liefert Beweise. Ich kann auch behaupten, Sie hätten diese oder jene Tat begangen. Ich kämpfe gegen Korruption. Da gibt es bei Glencore null Toleranz."
Wer sich als Reporter selbst in der Demokratischen Republik Kongo ein Bild machen und die Glencore-Bergwerke dort besuchen will, hat einen langen Weg vor sich: zahllose Telefonate und E-Mails, Verhandlungen mit dem Unternehmenssprecher, immer wieder Rückfragen, was genau man dort erfahren wolle, warum man sich so für die Minen im fernen Afrika interessiere.
Nach wochenlangen Gesprächen lässt sich die Firma überzeugen, der Pressesprecher besteht allerdings darauf, von der Schweiz aus mitzureisen. Man trifft sich also spätabends am Flughafen Frankfurt, der Glencore-Sprecher ist ein freundlicher, groß gewachsener Mann Ende dreißig, Kommunikationsprofi aus London, der die wesentlichen Bücher zur Geschichte des Kongo kennt. Nachtflug nach Johannesburg, Südafrika, von dort aus weiter in einem kleinen Charter-Jet. Die Glencore-Maschine fliegt dreimal die Woche direkt nach Kolwezi, die Stadt im Herzen der kongolesischen Kupferregion. Den kleinen Flughafen hat Glencore selbst ausbauen lassen.
Auf dem Weg zur Mine überquert der firmeneigene Jeep eine neue Brücke, die sich über einen Fluss spannt, mit zehn Millionen Dollar von Glencore mitfinanziert, wie der Sprecher beiläufig erwähnt. Man tue was für die Entwicklung des Landes, man werde dafür noch reichlich weitere Beispiele sehen.
In der Katanga-Mine fräst sich eine gigantische treppenförmige Grube ins Erdreich. Aus der Tiefe dringt ein leises Surren, das sind die Motoren der Bagger und Lastwagen, die dort unten Schutt aufladen, von hier oben wirken sie wie Spielzeugautos.
Ein Mann mit Warnweste und Schnurrbart saugt an einer elektrischen Zigarette und schaut dem Treiben zu: „Eine Wahnsinns-Lagerstätte“, raunt er in amerikanischem Englisch. Der Mann heißt Johnny Blizzard und hat in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten schon in Minen in den USA, in Chile, in Mauretanien gearbeitet. Heute ist er der Geschäftsführer der Katanga-Mine im Kongo.
Als Glencore die Mine im Jahr 2009 übernommen hat, sagt Johnny Blizzard, habe diese Grube großenteils unter Wasser gestanden. Jetzt sei der Konzern dabei, den ganzen Betrieb komplett zu überholen, schon bald soll die Katanga-Mine einer der größten Lieferanten weltweit für den Elektroauto-Boom werden. 300.000 Tonnen Kupfer und 22.000 Tonnen Kobalt, jedes Jahr. „Wir werden dabei sehr viel Spaß haben“, sagt Johnny Blizzard.
Neben ihm steht ein Pfahl mit Wegweisern, die in alle Himmelsrichtungen zeigen: Brüssel, 7113 Kilometer. Toronto, 12.002 Kilometer. 6619 Kilometer sind es bis nach Baar, in die schweizerische Kleinstadt, in der das Glencore-Hauptquartier steht. Ein leiser Wink, wo die wahre Macht wohnt.
Frage an den Glencore-Sprecher, der den Reporter durch die Mine begleitet: Was hat es mit den Vorwürfen auf sich, die Kritiker schon seit Jahren erheben, in Bezug auf die Beziehung zwischen Gertler und Glencore? War da jemals Korruption im Spiel? Statt eines klaren Ja oder Nein wird der Konzernsprecher bis zuletzt auf der Formulierung beharren: „Glencore verpflichtet sich, gute Geschäftspraktiken zu wahren“ und „geltende Gesetze sowie externe Anforderungen einzuhalten oder zu übertreffen.“
Im Kongo will er ohnehin lieber über andere Themen sprechen. Ein Großteil der dreitägigen Tour besteht im Abklappern von Sozialprojekten, die der Konzern rund um seine Minen finanziert: ein Betriebskrankenhaus, in dem alle Mitarbeiter und deren Angehörige kostenlos behandelt werden. Filteranlagen für Trinkwasser, Bücher und Computer für eine Hochschule, alles finanziert von Glencore, ebenso wie eine motorbetriebene Pumpe, die Wasser auf einen Acker sprüht, während eine Gruppe Frauen aus dem Dorf für die Glencore-Leute und den Reporter singen und tanzen. Sie seien dankbar, erklärt eine von ihnen, dass sie nicht mehr mit bloßen Händen nach Kupfererz graben müssten, sondern jetzt Tomaten auf dem Markt verkaufen könnten.
Abends sitzt man dann, wie auf einer klassischen Safari irgendwo in Afrika, mit den Glencore-Leuten im Freiluftrestaurant einer firmeneigenen Lodge, unter täuschend echt nachgebildeten Elefanten-, Nilpferd- und Warzenschweinköpfen. Nur dass in der Ebene keine Gnu-Herden grasen, sondern sich Transformatoren in den Nachthimmel erheben. Und dass man beim Gin Tonic nicht über Leoparden, Löwen oder Büffel fachsimpelt, sondern darüber, welche Preissprünge Kupfer und Kobalt gerade wieder auf dem Weltmarkt machen, wegen der E-Autos. Klingt nach: Zufriedenheit.
Davon konnte neun Jahre zuvor, an jenem heißen Juni-Tag 2008 im Züricher Airport Hotel, keine Rede sein. Damals sind die zehn Aufsichtsräte der Bergbaugesellschaft Katanga Mining aufgebracht, weil die Verhandlungen mit der kongolesischen Regierung über die Bergbaulizenzen stocken. Die Minengesellschaft kämpft um ihre Kontrolle über die Kupferschätze Katangas. Glencore hält bereits acht Prozent der Minenfirma und stellt ein Mitglied im Aufsichtsrat.
Weil die Gespräche mit den Kongolesen schlecht laufen, rufen die Aufsichtsräte Dan Gertler zu Hilfe. Er ist selbst Aktionär der Minengesellschaft und hat beste Kontakte zur Spitze des Kongo. Er bekommt ein schriftliches Mandat, mit den „kongolesischen Behörden“ zu verhandeln – so steht es im Protokoll der Sitzung, in nur einem von Hunderten internen Dokumenten über die Minengeschäfte Katangas, die sich in den Paradise Papers finden. Glencores Gesandter, ein Vertrauter des Konzernchefs Ivan Glasenberg, unterstützt dieses Mandat.
Dan Gertler nimmt den Auftrag an – und hat Erfolg. Nur 17 Tage später sind diese Differenzen mit den Kongolesen ausgeräumt. Schon in den Protokollen ihrer nächsten Sitzung vom 10. Juli 2008 überschlagen sich die Aufsichtsräte vor Lob für ihren Mittelsmann: "Dan Gertler hat sein Mandat sehr gut erfüllt, die Treffen der letzten zwei Tage waren extrem produktiv." Das Resultat sei ein "sehr positives". Der Aufsichtsrat dankt beinahe feierlich "Dan Gertler, dass er das geschafft hat".
Konfrontiert mit den Recherchen bestätigt Glencore erstmals, dass Dan Gertler tatsächlich in diesem Fall einen Auftrag für die Verhandlungen mit den kongolesischen Behörden bekommen hat. Heikel ist das, weil auf Seiten des Kongo damals der Vertraute von Gertler und Präsident Kabila mitmischte: Augustin Katumba Mwanke. Jener „DRC Official 2“ also, der in dem anderen Fall – den um den US-Hedgefonds Och-Ziff – Schmiergeld erhalten haben soll, veranlasst von einem „israelischen Geschäftsmann“: 18,5 Millionen Dollar, verteilt auf drei Monate und zur fast gleichen Zeit, in der auch Glencore und dessen Partner Probleme im Kongo hatten.
Fragt sich: Wurden die Differenzen zur Katanga-Mine mit den ähnlichen Methoden ausgeräumt, wie es im Fall Och-Ziff geschehen sein soll?
"Zu jener Zeit brauchte jede größere Entscheidung zu Minenverträgen das Einverständnis von Katumba", sagt die Kongo-Spezialistin Elisabeth Caesens, die kürzlich ein Buch über die Privatisierung der kongolesischen Minen veröffentlicht hat. "Katumba hatte mehr Macht über Gécamines als der Minister, der für den Staatsbetrieb zuständig war." Gertler erklärt, seine Verhandlungen seien redlich und mit professioneller Distanz abgelaufen.
Die Euphorie der Katanga-Führungsspitze über die Einigung mit den Kongolesen erweist sich jedoch als voreilig. Der neue Geschäftsführer der Minengesellschaft - von Glencore gekommen - muss dem Aufsichtsrat schon am 13. Oktober 2008 von der nächsten Krise berichten. Jetzt fordern die Kongolesen mehr Geld. Die Höhe soll sich nach den Ressourcen in der Mine richten.
Die Kongolesen, Ausriss aus den Protokollen der Katanga-Aufsichtsratssitzung vom 13. Oktober 2008 notiert das Protokoll , "sind nicht glücklich mit der Situation und verlangen 585 Millionen Dollar zusätzlich". Die Summe ist den Aufsichtsräten der Katanga-Mine viel zu hoch. Die Versammlung beschließt: Vier von ihnen, darunter der neue Geschäftsführer und der Glencore-Vertreter, sollen sofort "eine Diskussion mit Dan Gertler starten".
Glencore bestätigt, dass 2008 tatsächlich Preisverhandlungen stattgefunden haben. Nach Darstellung des Schweizer Konzerns hätten sich die kongolesische Seite und die Minengesellschaft Katanga Mining allerdings schon vor Gertlers Einsatz auf eine Zahlung von 135 Million Dollar geeinigt gehabt. Doch dann habe der Kongo plötzlich mehr Geld gefordert.
Auch Gertler erklärt, die Forderung der Gegenseite sei viel zu hoch gewesen. Die Summe, die der Kongo verlangt habe - 585 Millionen Dollar - hätte kein Unterhändler akzeptieren können. Beide Seiten hätten Zugeständnisse gemacht. Die kongolesische Seite habe besser dagestanden als vorher. Unterm Strich gebe es keine Basis für den Vorwurf, sein Einwirken habe zu einer unzulässigen Bevorzugung von Katanga Mining geführt. Am Ende erhielt der Kongo 140 Millionen statt der zwischenzeitlich geforderten 585 Millionen Dollar.
Nach Ansicht der Minen-Expertin Elisabeth Caesens, die solche Geschäfte seit Jahren untersucht und die Zahlen verglichen hat, haben Katanga und Glencore hier einen immensen Rabatt erhalten: „Katanga bezahlte für ihre Lizenzen pro Tonne nur ein Viertel dessen, was praktisch alle anderen Investoren im Kupfer-Sektor damals als Preis akzeptierten.“ Der Kongo hätte demnach auf Hunderte Millionen Dollar verzichtet – und vor allem Glencore hätte eine Menge Geld gespart.
Weder die kongolesische Regierung noch die staatliche Minengesellschaft wollen oder können erklären, warum Glencore nur ein Viertel dessen bezahlte, was der Kongo zwischenzeitlich verlangt hatte. Und warum das verarmte Land auf Geld verzichtete, das es gut hätte gebrauchen können.
Der Streit ums Geld mit dem Kongo ist somit zwar beigelegt, die neuen Minenverträge aber sind noch nicht unterschrieben.
Die Verhandlungen dauern an, als Ende 2008 die weltweite Finanzkrise die Situation noch einmal verändert: Die Rohstoffpreise brechen ein. In dieser Zeit weiten Glencore und Gertler ihren Einfluss auf die Minengesellschaft Katanga Mining aus. Der Kupferpreis befindet sich gerade im freien Fall, als die Forderungen des Kongo über 585 Millionen den Glencore-Aufsichtsrat erreichen.
Die Verhandlungen dauern an, als Ende 2008 die weltweite Finanzkrise die Situation noch einmal verändert: Die Rohstoffpreise brechen ein. In dieser Zeit weiten Glencore und Gertler ihren Einfluss auf die Minengesellschaft Katanga Mining aus. Der Kupferpreis befindet sich gerade im freien Fall, als die Forderungen des Kongo über 585 Millionen den Glencore-Aufsichtsrat erreichen.
In der Finanzkrise rettet Glencore die Katanga-Mine mit einem Notkredit. Der Konzern baut damit seine Anteil aus.
In der Finanzkrise rettet Glencore die Katanga-Mine mit einem Notkredit. Der Konzern baut damit seine Anteil aus.
Außerdem stellt ein Papier von Anfang 2009, das Teil der Paradise-Daten ist, einer Gertler-Firma ein kompliziert konstruiertes Darlehen Glencores in Höhe von 45 Millionen Dollar in Aussicht. Es ist demnach an die Bedingung geknüpft, dass die Verhandlungen mit dem Kongo erfolgreich zu Ende gehen. Im Februar 2009 gewährt Glencore tatsächlich einen Kredit, und Gertler selbst erklärt auf Anfrage, dass seine Firma dadurch später ihren Anteil an den Minen habe halten können.
Außerdem stellt ein Papier von Anfang 2009, das Teil der Paradise-Daten ist, einer Gertler-Firma ein kompliziert konstruiertes Darlehen Glencores in Höhe von 45 Millionen Dollar in Aussicht. Es ist demnach an die Bedingung geknüpft, dass die Verhandlungen mit dem Kongo erfolgreich zu Ende gehen. Im Februar 2009 gewährt Glencore tatsächlich einen Kredit, und Gertler selbst erklärt auf Anfrage, dass seine Firma dadurch später ihren Anteil an den Minen habe halten können.
Im März 2009 stellt der Aufsichtsrat der Katanga Mining fest, dass die meisten Fragen mit dem Kongo nunmehr gelöst seien. Der Kongo akzeptiert 140 Millionen statt der zwischenzeitlich geforderten 585 Millionen Dollar.
Im März 2009 stellt der Aufsichtsrat der Katanga Mining fest, dass die meisten Fragen mit dem Kongo nunmehr gelöst seien. Der Kongo akzeptiert 140 Millionen statt der zwischenzeitlich geforderten 585 Millionen Dollar.
Im Sommer 2009 werden die Verträge zwischen Katanga und dem Kongo schließlich unterschrieben - und Glencore wird Mehrheitseigentümer der Minengesellschaft.
Katanga hatte Problemlösung bestellt - und Dan Gertler hat Problemlösung geliefert.
Aber auf wen hatte sich Glencore da eigentlich eingelassen? Was konnte der Schweizer Konzern damals, im Jahr 2008, über Dan Gertler wissen, der für ihn im Kongo unterwegs war?
Zur Erinnerung: Der UN-Bericht, der die Geschäfte einer Gertler-Firma mit dem Kongo einen "Albtraum" genannt hatte, lag schon seit 2001 vor. Im Jahr 2005 war das kongolesische Parlament zu dem Schluss gekommen, eine Gertler-Firma habe der staatlichen Minengesellschaft Miba einen Kredit zu wucherhaften Konditionen gegeben. Und dann ist da auch noch die Och-Ziff-Episode, die zwar erst 2016 aktenkundig wird, die Gertler aber eben kaum verhohlen unter Korruptionsverdacht stellt. Demnach wäre er zur selben Zeit für den Hedgefonds im selben Land und in ähnlicher Angelegenheit unterwegs gewesen und hätte genau den Mann bestochen, dessen Hilfe er auch in Sachen Katanga-Mine gut brauchen konnte: Augustin Katumba Mwanke, den engen Vertrauten des kongolesischen Präsidenten.
Und davon will Glencore nichts gewusst haben? Musste der Konzern bei Gertlers Vorgeschichte nicht damit rechnen, dass dieser womöglich dubiose oder gar illegale Methoden anwenden würde? Hat Glencore ein Korruptionsrisiko missachtet?
„Die Compliance-Abteilung von Glencore hätte diese Partnerschaft mit Dan Gertler stoppen müssen“, sagt der international renommierte Schweizer Korruptionsexperte Mark Pieth. „Ich sehe nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Glencore keine professionelle Prüfung von Dan Gertler gemacht, oder sie wussten sehr genau, dass es ein Korruptionsrisiko gab - und haben es bewusst in Kauf genommen.“
Inzwischen sind weitere Details über Gertlers Geschäfte im Kongo öffentlich geworden: Im Mai 2013 hat ein Expertenteam unter Vorsitz des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan festgestellt, dass der Kongo allein zwischen 2010 und 2012 in fünf dubiosen Deals Schürfrechte weit unter ihrem wahren Wert verschleudert und dadurch mehr als 1,3 Milliarden Dollar verloren haben soll - "fast doppelt so viel wie das gesamte Jahresbudget 2012 für Gesundheit und Bildung". An all diesen Geschäften war demnach eine Gertler-Firma beteiligt. Gertler bestreitet die Vorwürfe des "Africa Progress Panel" und sagt, seine Firma sei dazu nicht angehört worden.
Im Februar 2017 hat Glencore die Anteile von Dan Gertler an den gemeinsamen Minen übernommen. Branchenexperten sehen darin einen Versuch des Schweizer Konzerns, sich von Gertler abzugrenzen und so den eigenen Ruf zu schützen. Gertler selbst sagt, er habe weiter vertragliche Rechte, Lizenzgebühren im Zusammenhang mit den Glencore-Minen im Kongo zu erhalten. Keine schlechten Aussichten: Auf dem Weltmarkt sei Kobalt einer der „heißesten Rohstoffe 2017“, heißt es in einer Analyse der Großbank UBS.
Allerdings warnt die Bank auch vor einer erhöhten politischen Ungewissheit in der Demokratischen Republik Kongo. "Politische Ungewissheit" - das ist höflich formuliert.
Laut Verfassung hätte Joseph Kabila schon Ende 2016 den Weg für Wahlen frei machen müssen, er dürfte dabei nicht erneut antreten. Stattdessen verschiebt er die Wahlen unter fadenscheinigen Begründungen immer wieder, lässt Proteste niederschlagen, klammert sich mit Gewalt an die Macht – und an das Wirtschaftsimperium, das er sich in seiner Amtszeit erschaffen hat.
Er und seine Familie sollen inzwischen an mehr als 80 Unternehmen beteiligt sein, an Farmen und Banken, Airlines und Hotels, Gold- und Diamantenminen. Eine Anfrage der SZ und anderer Medien dazu beantworte Kabila nicht. Doch was das eigene Volk von ihm denkt, das ist ihm offenbar nicht völlig egal.
Nach der Tour durch die Minen des Kongo nämlich, nach dem Abschied vom Glencore-Sprecher, entdeckt man am Straßenrand ein gewaltiges Plakat, von dem Präsident Kabila dem Volk schnauzbärtig zulächelt: „Mein Kongo“, steht darauf, und: „Wenn ihr nicht an mich glauben wollt, so glaubt wenigstens an meine Werke.“
Neben ihm groß abgebildet: die von Glencore mitfinanzierte Brücke.
Und was erwartet Michel, der Kleinschürfer am Rand der Glencore-Mine, von der Zukunft? Hat er die Hoffnung, dass der alte kongolesische Traum irgendwann doch noch in Erfüllung geht und die Bodenschätze, Kupfer und Kobalt, dem Volk zugutekommen? Würde er dann vielleicht doch wieder Medizin studieren?
Michel lässt die Erzbrocken, das Kupfer- und Kobaltgestein zurück in die Plastiktüte gleiten. „Dafür ist es doch zu spät“, sagt er, „ich bin jetzt 41, ich muss meine Kinder durchbringen, ich kann nicht aufhören zu arbeiten.“ Seine Träume sind klein geworden mit den Jahren. "Wenn Glencore mir einen Job geben würde", sagt Michel, "eine Anstellung mit festem Gehalt. Das wäre was."
Ohne die Geschichte zu kennen, die die Süddeutsche Zeitung über seine Geschäfte im Kongo verfasst hat, hat Dan Gertler der Redaktion über seinen Anwalt bereits vor Veröffentlichung am Sonntag folgende Stellungnahme in englischer Sprache zukommen lassen:
This is the response of Mr. Dan Gertler to the media campaign waged against him in recent weeks by the International Consortium of Investigative Journalists.
We require you to publish the following response as is, in full, and without editing it.
If you wish to edit something in it - you must receive our permission to do so, in writing. This response comes in addition to responses that we have already sent you to the questions and issues that you raised before us.
Response to the broadcast/printed press
"The article presented to the public is the product of unrestrained and unbalanced journalism. Put simply, the article misleads the public entirely about Mr. Gertler’s business activities in the Democratic Republic of Congo.
The article is devoid of complete and accurate facts. It is a jumble of claims based on erroneous assumptions, gossip and regrettably, incorrect inference and speculation.
Mr. Gertler and the Fleurette Group always perform their business affairs for sound commercial reasons and on an arm’s length basis. The innuendo arising from the article stems from a complete lack of understanding of the transactions described, the business environment in which they were carried out and their economic contexts. The article is also strewn with incorrect interpretations of incomplete documents that were stolen from attorneys’ offices.
It is extremely disturbing that, due to the ICIJ’s failure to understand complex business matters, particularly international finance transactions and the standard documentation that accompany them, the authors have come to misleading and erroneous conclusions. All finance documents the ICIJ have referred to were drafted and negotiated by leading international law offices from both sides. These documents were based on international standards, with provisions reflecting international norms.
It is also troubling that the authors refused our request to arrange a meeting between Mr. Gertler and the representatives of the press consortium over the last month, in order to address various issues mentioned in the article and to present the consortium with additional documents and information. Their continuing refusal was made on claims of impossible timeframes and spurious legal excuses. This is a breach of the good faith required of every journalist and goes to demonstrate their insistence on adhering to conspiracy theories that lack any foothold in reality.
The public should know that the DPA settlement executed by the Och-Ziff hedge fund was executed without Mr. Gertler's knowledge, consent or involvement, in any way or manner whatsoever. To the extent that it referred to Fleurette Group business in the DRC, Mr. Gertler rejects the factual narrative set out in the DPA in its entirety. Furthermore, Mr. Gertler has never been interrogated or asked to appear in front of the US authorities to provide any account on the matters referred to in the DPA.
Mr. Dan Gertler is a respectable businessman who contributes the vast majority of his wealth and time to the needy and to different communities amounting to huge sums of money. As at January 2017, Fleurette’s subsidiaries and partnerships support around 30,000 jobs in the DRC and are amongst the DRC’s leading taxpayers, contributing significant revenues to the State. Fleurette is also a major contributor to social development in the DRC through the Gertler Family Foundation (GFF) and through direct investment in social infrastructure. The GFF is the largest charitable organization in the DRC, funding more than 50 programs and projects across the DRC, which help tens of thousands of Congolese every year
Zudem hat uns der Schweizer Glencore-Konzern am Donnerstag, 2. November, ebenfalls vor Veröffentlichung der SZ-Geschichte, folgendes Statement zu seinen Geschäften im Kongo und zur Zusammenarbeit mit Dan Gertler geschickt:
ERKLÄRUNG VON GLENCORE UND KATANGA, NOVEMBER 2017
Im Juni 2007 erwarb Glencore eine Beteiligung an Nikanor Plc (Nikanor). Nikanor war ein börsenkotiertes Unternehmen am „Alternative Investment Market“ (AIM) in London. Glencores Anteil an Nikanor lag vor Nikanors Fusion mit Katanga Mining Limited (Katanga) bei 13,88%.
Im Januar 2008 fusionierten Nikanor und Katanga. Die Fusion resultierte in eine Umwandlung von Glencores Anteil an Nikanor in Höhe von 13,88% in einen Anteil in Höhe von 8,52% an der neuen kombinierten Gruppe.
Die Hauptbetriebsgesellschaft von Nikanor in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) war die DRC Copper und Cobalt Project (DCP). Die Hauptbetriebsgesellschaft von Katanga war die Kamoto Copper Company (KCC). Die staatliche Bergbaugesellschaft Gecamines war mit 25% an den Unternehmen KCC und DCP beteiligt. Zum Zeitpunkt der Fusion war DCP im Besitz verschiedener Abbaugenehmigungen und Schürfrechte in der Demokratischen Republik Kongo, die im Februar 2006 an DCP übertragen wurden. KCC wurde 2005 gegründet und leaste die Abbaugenehmigungen und Schürfrechte von Gecamines gemäss einer Joint-Venture-Vereinbarung vom Februar 2004.
Gegen Ende 2007 nahm Katanga mit der staatlichen Bergbaugesellschaft Gecamines Verhandlungen auf. Diese zielten darauf ab, DCP in das KCC-Joint-Venture zu konsolidieren.
Im Februar 2008 schlossen Katanga und Gecamines eine Vereinbarung über die Übertragung bestimmter Abbaugenehmigungen und Schürfrechte von Gecamines an KCC, eine Tochtergesellschaft von Katanga, ab. Diese Vereinbarung vom Februar 2008 sah die Zahlung eines „Pas De Porte“ (Ablöse) an Gecamines vor, das auf der Grundlage der in einer Machbarkeitsstudie ausgewiesenen Kupferreserven von KCC berechnet werden sollte. Katanga gab im Februar 2008 bekannt, dass der gemäss dem vereinbarten Grundsatz zu zahlende Betrag sich auf rund 135 Millionen US-Dollar belief. Ferner stimmte Katanga zu, beträchtliche Kupfer- und Kobaltreserven an Gecamines mit einem geschätzten Wert von 825 Millionen Euro freizugeben. Gecamines stimmte zu, Ersatzreserven bereitzustellen oder, falls Gecamines dazu nicht in der Lage wäre, eine Entschädigung an Katanga zu zahlen.
Anschliessend leitete Katanga Verhandlungen mit Gecamines über die Umsetzung der im Februar 2008 geschlossenen Vereinbarung ein. Der Verwaltungsrat von Katanga beschloss im Juni 2008, Herrn Gertler zu bevollmächtigen, auf der Grundlage der Vereinbarung von Februar 2008 mit den Behörden der Demokratischen Republik Kongo zu verhandeln. Herr Gertler hielt eine wesentliche Beteiligung an Katanga. Im Laufe der Verhandlungen diskutierten Gecamines und Katanga den Umfang der Reserven von KCC, die gemäss der Vereinbarung von Februar 2008 bei der Berechnung des Pas De Porte zu berücksichtigen waren. Im weiteren Verlauf der
Verhandlungen legte Gecamines verschiedene Standpunkte zum Pas De Porte dar, der ihrer Meinung nach von KCC zu zahlen sei, einschliesslich war die Rede von Summen über 585 Millionen US-Dollar und 200 Millionen US-Dollar. Katanga vertrat erfolgreich ihren Standpunkt, dass die zuvor von Katanga genannte Summe im Wesentlichen korrekt war und dem im Februar 2008 vor der Bevollmächtigung von Herrn Gertler vereinbarten Grundsatz entsprach, nämlich dass der Pas De Porte nur für die Abbaugenehmigungen und Schürfrechte gelten solle, die tatsächlich an KCC übertragen worden waren. Im Juli 2009 wurde ein Joint-Venture-Vertrag zwischen Katanga und Gecamines geschlossen, der die Zahlung eines Pas De Porte von 140 Millionen US-Dollar vorsah.
Im November 2007 gewährte Glencore Katanga ein konvertierbares Darlehen in Höhe von 150 Millionen US-Dollar. Während der Finanzkrise im Januar 2009 beschloss Glencore die Summe des konvertierbaren Darlehens auf 265 Millionen US-Dollar zu erhöhen.
Im Februar 2009 vergab Glencore Finance (Bermuda) Ltd ein Darlehen an Lora Enterprises Limited (Lora), ein Unternehmen, das mit Herrn Gertler verbunden ist. Die Abwicklung des Darlehens erfolgte durch die Übertragung einer Beteiligung am konvertierbaren Darlehen, das Glencore Katanga bereitgestellt hatte. Das Darlehen an Lora wurde zu marktüblichen Konditionen vergeben. Das Darlehen war mit angemessenen Sicherheiten ausgestattet (einschliesslich eines Pfandrechts an den entsprechenden Katanga Aktien), welche bei den zuständigen Registrierstellen eingetragen wurden. Im Jahr 2010 wurde das Darlehen von Lora vollständig zurückgezahlt.
Im Mai 2009 kündigte Katanga eine Bezugsrechtsemmission in Höhe von 250 Millionen US-Dollar an, an welche sich Glencore beteiligte.
Im Juni 2009 wandelte Glencore ihr konvertierbares Darlehen an Katanga um und erwarb einen Mehrheitsanteil an Katanga. Nach der Umwandlung des konvertierbaren Darlehens und der Bezugsrechtsemmission an Katanga, die im Juli 2009 vollendet war, hielt Glencore ungefähr 77,9 % an Katanga.
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Dieser Artikel erschien erstmals am 05.11.2017 in der SZ. Die besten digitalen Projekte finden Sie hier.