Waldbrände in Europa: »Wir sehen Feuer, die nicht mehr gelöscht werden können« - DER SPIEGEL

2022-09-23 21:52:56 By : Mr. Colin Zhang

Waldbrand im Südwesten von Frankreich: »Es brennt jetzt im Prinzip immer irgendwo«

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

SPIEGEL: Herr Goldammer, der zu Ende gehende Sommer war voll von Berichten über Dürren, Hitzewellen und zahllose Waldbrände in ganz Europa. Was sagen Sie als international renommierter Experte: Ist die Saison jetzt wenigstens vorbei?

Goldammer: Nein, überhaupt nicht. Die Waldbrandsaison, die wir früher einmal kannten, gibt es so nicht mehr. Es brennt jetzt im Prinzip immer irgendwo. Das aktuelle Jahr zeigt das sehr deutlich. Wir hatten bereits im Januar die ersten Feuer in Nordportugal. Allein bis Mitte August wurden in Europa 660.000 Hektar Land zerstört, das sind 56 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2017. Und ich fürchte, dass es die kommenden Wochen weitere Großbrände geben wird. Wir erleben also gerade eine Zeitenwende – auch im Umgang mit Waldbränden. Die Feuergefahr ist noch lange nicht vorbei.

Johann Georg Goldammer, 73, ist Direktor des Global Fire Monitoring Center der deutschen Max-Planck-Gesellschaft und Leiter des interdisziplinären Uno-Spezialistenteams für Waldbrände. Er erforscht seit mehreren Jahrzehnten die Ursachen und beriet mehrere Regierungen bei der Brandprävention, zuletzt in Griechenland.

SPIEGEL: Was hat in diesem Sommer die Feuer so angeheizt?

Goldammer: In diesem Jahr hatten wir drei konkrete Ursachen, die die Zahl der Brände in die Höhe getrieben haben: Hitze, starker Wind und wenig Regen. Das hat dafür gesorgt, dass weite Teile des Kontinents außergewöhnlich trocken waren. Das Ergebnis waren längere und intensivere Brände wie in Frankreich, Spanien oder Portugal.

SPIEGEL: Wie sind die betroffenen Länder damit umgegangen?

Goldammer: Auf der iberischen Halbinsel war es keine ganz neue Situation. Aber in Frankreich war es teilweise wirklich sehr schwierig. Die Strukturen dort sind sehr zentralistisch, eigentlich gilt die französische Feuerwehr als gut organisiert und schlagkräftig. Normalerweise helfen die Franzosen anderen. In diesem Jahr reichten die eigenen Ressourcen aber nicht mehr. Als ich hörte, dass die Feuerwehr aus Bonn kurzfristig zur Unterstützung nach Bordeaux gerufen wurde, war das für mich ein Signal, dass sich hier wirklich etwas verändert hat.

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SPIEGEL: Woran zeigt sich diese Veränderung konkret?

Goldammer: Wir sehen immer mehr Feuer, die nicht zu stoppen sind. Es gibt inzwischen auch in Westeuropa Brände, die im besten Fall noch gelenkt, aber nicht mehr gelöscht werden können. Bei manchen in diesem Jahr standen die Feuerwehrleute vor 15 bis 30 Meter hohen Flammen. Da hilft kein Schlauch mehr und auch kein normales Löschfahrzeug. Solche Feuer werden häufiger. Gleichzeitig steigt die Belastung für die Einsatzkräfte. Wenn sie bei Temperaturen über 40 Grad löschen müssen, halten sie das nicht lange durch. Unter Umständen kippen sie um. Feuerwehrleute, mit denen ich sprechen konnte, sagten mir: »So schlimm war es noch nie. Wir geraten inzwischen öfter an unsere Grenzen.« Unser Umgang mit Waldbränden wird sich also grundlegend verändern müssen.

SPIEGEL: Wie könnte das aussehen?

Goldammer: Wir wissen bereits, wie hilflos der Mensch gegen Hurrikane, Tsunamis und Erdbeben ist – künftig werden wir in Europa lernen müssen, auch das Feuer als Naturgewalt zu akzeptieren und damit zu leben. Gleichzeitig brauchen wir neue Formen der Brandbekämpfung und der Prävention.

SPIEGEL: Gibt es bereits Beispiele für solche Veränderungen?

Goldammer: Ich war in diesem Jahr längere Zeit in Griechenland. Dort gründen gerade vermehrt junge Menschen NGOs zur Feuerbekämpfung. Gewissermaßen ist das eine moderne Form der freiwilligen Feuerwehr. In vielen europäischen Ländern war so etwas lange unbekannt. Es gab nur Berufsfeuerwehren. Zuletzt haben aber immer mehr Menschen gemerkt, dass das nicht reicht. Wir versuchen jetzt, diese lokalen Strukturen zu fördern. Es ist immer einfacher, gemeinsam Brände zu vermeiden, als erst im Ernstfall das Feuer zurückzudrängen. Im Notfall muss es das wichtigste Ziel sein, dass die Menschen frühzeitig informiert sind und nicht in letzter Minute gerettet werden müssen. Umgekehrt könnte man auch im Norden noch dazulernen. In Südeuropa gibt es bereits gute Warn-Apps und Informationssysteme. Man weiß dort auch, wie man große Brände mit gezielt gelegten Gegenfeuern stoppen kann. Diese Erfahrung fehlt in Deutschland noch.

Goldammer: Oft ist die Wasserversorgung am Brandort extrem kritisch. Durch die Dürre lässt sich teilweise kein Löschwasser mehr aus Flüssen und Brunnen pumpen. Wir müssen es also weiter transportieren und effizienter einsetzen. Neben Flugzeugen und Hubschraubern gibt es inzwischen auch Löschfahrzeuge, die mit Turbinen einen feinen Hochdrucknebel erzeugen. So lässt sich mit weniger Wasser die Feuertemperatur senken. Diese Hightech kann dort eingesetzt werden, wo Sie auf Waldstraßen nahe an den Brandort heranfahren können. Auf der anderen Seite braucht es aber auch mehr Möglichkeiten, um möglichst mobil ins Gelände zu kommen. In mediterranen Gebieten wie der Macchia sind kleine Fahrzeuge oft praktischer. Wir haben gerade ein Gerät entwickelt, das sich an Traktoren ankuppeln lässt und mithilfe der Kraftübertragung Wasserdruck erzeugt. Verglichen mit anderen Lösungen ist das Low-Budget. Aber es funktioniert mit fast jedem Traktor. Mit solchen Konzepten kann man auch in der Fläche viel erreichen. Das alles ersetzt aber nicht die Prävention.

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SPIEGEL: In den vergangenen Jahren ist das Bewusstsein für die Folgen der Erderwärmung deutlich gestiegen. Es gab Großproteste für eine entschlossenere Klimapolitik. Verändert das auch unser Verhältnis zum Wald?

Goldammer: Es gibt sicherlich mehr Aufmerksamkeit, aber ich habe das Gefühl, dass es ein teilweise sehr verklärtes Naturbild gibt. Einerseits wünschen sich viele naturbelassene Wälder, in die möglichst gar niemand eingreift. Andererseits soll noch viel mehr als bislang mit Holz gebaut werden, weil das so schön natürlich und ökologisch ist. Das passt nicht zusammen. Der Wald, den wir in Europa kennen, war schon immer ein Kulturraum des Menschen. Natürlich müssen wir die Biodiversität erhalten. Aber wenn ich alles so liegen lasse, darf ich mich nicht wundern, wenn es brennt.

SPIEGEL: Wie stark beeinflusst die Waldart die Brandgefahr?

Goldammer: Ganz erheblich. Bäume wie der Eukalyptus, der vor allem in Portugal massiv angebaut wird, brennen wie Fackeln. Das Feuer rast an der lose hängenden Rinde hoch in die Baumkrone. Durch den warmen Aufwind verteilen sich die glühenden Rindenstücke oft kilometerweit. Andere Baumarten sind nicht ganz so gefährlich, aber als trockenes Totholz wird jeder Baum zur Gefahr. Wissen Sie, wenn es im Grasland brennt, erreicht das Feuer eine Temperatur von 200 bis 300 Grad Celsius, aber nur für Sekunden oder Minuten oberhalb des Bodens. Bei Totholz sind es 600 bis 800 Grad, und der Brand frisst sich oft über Tage tief in den Boden.

SPIEGEL: Ist der Wald zu lange vernachlässigt worden?

Goldammer: Ich glaube, man hat in ganz Europa den Wald aus dem Blick verloren. In den vergangenen 20 Jahren wurden in vielen Ländern die Forstverwaltungen zusammengespart. Das war sicherlich auch politisch gewollt. Man wollte weniger Beamte und mehr Marktwirtschaft im Forst. Doch der Wald ist ein Ökosystem, das man weder rein betriebswirtschaftlich verwalten noch sich einfach überall selbst überlassen kann. Es braucht auch Investitionen, die nicht direkt einen Ertrag bringen, sich aber langfristig auszahlen. Inzwischen gibt es ja für alles Mögliche EU-Subventionen. Ich würde mir wünschen, dass es das auch für den Wald gibt. Es geht darum, in Zeiten der Klimakrise die Resilienz unserer Natur zu erhöhen. Wenn wir in Europa Weide- und Forstwirtschaft fördern würden, wäre das ein Beitrag für Revitalisierung und Innovation im ländlichen Raum.

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

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Die Stücke sind beim SPIEGEL zu finden auf der Themenseite Globale Gesellschaft .

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